Die Ergebnisse der Europawahl in Polen überraschen nicht. Entlang der Umfragewerte siegte mit überwiegender Mehrheit von 44,43 Prozent die liberalkonservative Bürgerplattform (PO). Die nationalkonservative Partei der Zwillingsbrüder Kaczynski, Recht und Gerechtigkeit (PiS) zieht mit 27,4 Prozent, als zweitstärkste polnische Partei in das Europäische Parlament ein. Die Demokratische Linksallianz (SLD) und die gemäßigte Bauernpartei PSL haben bei der Europawahl jeweils 12,34 und 7,1 Prozent erreicht. Als Wahlsiegerin sicherte sich die Bürgerplattform die Hälfte (25) aller Mandate, die Polen im Europäischen Parlament zustehen. Die weiteren Parteien - PiS, SLD und PSL - werden jeweils 15,7 und 3 Abgeordnete nach Brüssel schicken.
Nur vier von zehn Parteien oder Wahlkoalitionen, die sich an der Europawahl 2009 beteiligten, schafften die Fünf-Prozent-Hürde und den Einzug in das Europäische Parlament. Dabei sind es ausschließlich die politischen Kräfte, die seit 2007 im polnischen Sejm vertreten sind. Keine der Parteien oder Gruppierungen der außenparlamentarischen Opposition hat den Einzug in das Europäische Parlament geschafft. Somit sind sie eindeutig die Verliererinnen der Europawahl.
Auch die niedrige Wahlbeteiligung von 24,53 Prozent überraschte nicht, obwohl sie angesichts des Euro-Enthusiasmus der polnischen Bürgerinnen und Bürger (die Zustimmungswerte für den EU-Beitritt und die Vertiefung der EU-Integration bewegen sich in Polen seit 2005 um die 70 Prozent), als paradox und zugleich besorgniserregend bewertet wird. Das Desinteresse der polnischen Wählerinnen und Wähler an der Europawahl ist sicherlich zum Teil auf mangelnde Kenntnisse über das Funktionieren der Europäischen Union sowie ihre zunehmende Bürokratisierung zurückzuführen. Hinzu kommen die nicht minder wichtigen, innenpolitischen Beweggründe. Laut aktuellen Umfragen lehnten 48 Prozent der Befragten den Urnengang ab, weil sie sich von keiner politischen Kraft repräsentiert fühlen.
Polnische EP-Mannschaft: konservativ und insgesamt europafreundlicher
Dem europaweiten Trend folgend, stärkt auch Polen in den nächsten fünf Jahren vor allem die konservativen Kräfte des Europaparlaments. Sowohl die 25 Mandate der Bürgerplattform, als auch die 3 PSL-Mandate kommen der größten parlamentarischen Fraktion - der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) - zugute.
Im Vergleich zu der Europawahl im Jahr 2004 ist die neue Repräsentanz Polens im Parlament insgesamt europafreundlicher. Die Wahlsiegerin Bürgerplattform will sich für ein "starkes und offenes" Europa einsetzen und sich in diesem Kontext auf der Ebene des Europaparlaments aktiv engagieren. Aus den Listen der Bürgerplattform wurden in das Europäische Parlament erfahrene Europapolitikerinnen - wie etwa die ehemalige Regionalkommissarin, Danuta Hübner oder der Europarlamentarier vergangener Legislaturperiode, Jerzy Buzek - gewählt, die einen konstruktiven Einsatz für die Lösung europapolitischer Fragen garantieren. Der polnische Regierungschef Tusk hat vor, Buzek als den Kandidaten für das Amt des Parlamentsvorsitzenden vorzuschlagen. Deutschland und Frankreich haben ihre Unterstützung für die polnische Kandidatur bereits zugesagt.
Im Gegensatz zu Holland, Belgien, Österreich oder Ungarn haben die polnischen Wählerinnen und Wähler keine radikalen, europafeindlichen Parteien gewählt. Die populistischen Randparteien - die rechtsnationale Liga der Polnischen Familien (LPR) und die linkspopulistische Samoobrona, die 2004 in das Europäische Parlament eingezogen sind, scheiterten 2009 an der Fünf-Prozent-Hürde. Sowohl die LPR, die sich an der Europawahl unter dem Logo von Libertas / Polen beteiligte, als auch Samoobrona, die die Stimmen der Unzufriedenen an der linken Seite des politischen Spektrums zu sammeln hoffte, erreichten lediglich knapp über 1 Prozent.
Innenpolitische Folgen: Festigung der parteipolitischen Landschaft
Vor dem Hintergrund der 2010 anstehenden Präsidentenwahl war die Europawahl eine willkommene Kulisse für die innenpolitischen Auseinandersetzungen. Insbesondere die regierende Bürgerplattform und PiS, die Partei des amtierenden Präsidenten, nutzten die Wahlkampagne als eine Generalprobe vor dem Kampf um das Präsidentenamt. Auch in diesem Zusammenhang trug die Bürgerplattform einen unumstrittenen Sieg davon. Nach zwei Jahren der Regierungszeit und vor dem Hintergrund der Unsicherheit, die die globale Wirtschaftskrise auslöste, konnte sie ihr Wahlergebnis von den Parlamentswahlen im Herbst 2007, verbessern. Bei der Übertragung des aktuellen Wahlergebnisses auf Wahlen zum polnischen Sejm wäre sie fähig, mit knapper, dennoch absoluter Mehrheit, alleine zu regieren. Obwohl der stärksten Oppositionspartei PiS nicht gelungen ist, sich als überzeugende Alternative zur PO darzustellen, bezeichnete der Parteichef Jaroslaw Kaczynski das Wahlergebnis als "nicht schlecht". Im letzten Moment hat die PiS - dank ihrer antideutschen Rhetorik - einen deutlichen Teil der Wählerschaft mobilisieren können.
Für die schwache Demokratische Linksallianz war die Europawahl ein zäher Kampf um die Alleinherrschaft an der linken Seite des Parteispektrums in Polen. Mit 12 Prozent hat sie zwar keinen nennenswerten Sieg erreicht, konnte dennoch das Wahlergebnis der letzten Parlamentswahlen in Polen fast wiederholen. Zudem verfehlte die SLD - Konkurrentin, die Mitte-Links-Koalition "Verständigung für die Zukunft" mit dem Ergebnis von 2,44 Prozent die Fünf-Prozent-Hürde. Somit ist die von der SLD angestrebte Alleinstellung an der linken Seite der polnischen Mainsteram - Politik gesichert.
Für die Wahlkoalition "Verständigung für Zukunft", an der sich die Soziademokratie Polens (SdPl), die Demokraten und die polnischen Grünen (Zieloni 2004) beteiligten, bedeutet die Wahlniederlage das Ende der Vernunftehe. Für die einzelnen Parteien hat sie voraussichtlich weitgehende Konsequenzen. Bestenfalls stehen den Parteien einige Jahre des Schattendaseins, als außenparlamentarische Opposition bevor. Angesicht des Wahlergebnisses unter 3 Prozent werden sie die Parteien ohne staatliche Finanzierung überbrücken müssen. Schlimmstenfalls bedeutet die Wahlniederlage, insbesondere für die Demokraten - die Nachfolgepartei der Freiheitsunion - das politische Ende.
Vor dem Hintergrund der Wahlergebnisse insgesamt, scheint sich das polnische Parteisystem zunehmend zu festigen und abzudichten. Dabei ist die Schieflage der polnischen politischen Landschaft deutlich sichtbar. Mit insgesamt über 70 Prozent sind die rechten politischen Kräfte (PO und PiS) überproportional stark, während die Linke (SLD) mit den erreichten 12 Prozent schwach und die Mitte de facto unbesetzt bleibt. Es zeichnet sich eine Tendenz zur Herausbildung eines rechtskonservativen Zwei-Parteien- Systems ab.
Agnieszka Rochon ist die Büroleiterin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Warschau.